Ziegelreste längst vergangener Bauten knirschen unter den Schuhen. Der frühe Morgennebel lichtet sich langsam und erste Sonnenstrahlen finden Ihren wärmenden Weg. Schemenhaft zeichnen sich in einiger Entfernung die Umrisse stummer Zeugen der Vergangenheit ab. Mahnend wie ein erhobener Zeigefinger ragt ein übriggebliebener Schornstein in den höhersteigenden Nebel. Eine dunkle Spur zieht sich durch das vom Tau besetzte Gras. Dort ist also schon jemand. Von weither dringt ein Kinderlachen an mein Ohr.
Kinderlachen!
Vorsichtig nähere ich mich den Koordinaten auf meinem GPS-Gerät. Offene Abwassergruben und Anschlussschächte säumen mit ihren schwarzen Löchern meinen Weg. Ein falscher Tritt, ein Moment der Unachtsamkeit. Die dunkele Linie, der ich im feuchten Graß folge, geht geradewegs auf mein Ziel zu. Auf einigen Metern trockenem Beton heben sich die Füße deutlich hervor. Spuren mindestens zweier Erwachsener, eines Hundes und – eindeutig zweier Kinder – ziehen sich zwischen Betonbrocken, Armiereisen und abgeflexten Rohrleitungen vorbei. Vorbei an rostigen Geländern, die Ihren Zweck nicht mehr erfüllen würden, hinweg über marodes Gitterwerk nähere ich mich der ersten Station. Das Kinderlachen scheint näher. Rasch löse ich die Aufgabe und es geht weiter zum nächsten Hinweis.
Verantwortung.
An einer leicht exponierten Stelle habe ich einen guten Ausblick auf das brachliegende Gelände, welches bereits in weiten Teilen von der Natur zurückerobert ist. Einzelne Beton- und Ziegelhaufen sind zwischen den dornigen Bromberen zu erkennen. Mittendrin, am Rande einer Treppe zwei bunte Flecken auf einem Haufen Betonbrocken. Zwei Kinder. Sie scheinen dort zu warten.
Ich beschließe den Cache vorerst abzubrechen und nach dem Rechten zu sehen. Es dauert eine Weile, bis das ich mich durch die Gänge und Wirren gekämpft habe und vor den beiden stehe. Eine Brombeerranke hat unterwegs einen tiefen, blutigen Kratzer auf meinem Arm hinterlassen, mein Gesicht ist mit Staub und Schweiß verschmiert. Ich schnappe nach Luft. Ungläubig schauen die beiden mich an. „Papa und Mama sind darunter, aber wir haben Angst im Dunkeln.“ Noch ungläubiger schaue ich zurück. Zwei Kinder, vielleicht 3 und 5 Jahre alt, Mutterseelen alleine mitten auf einem Lost Place. Sprachloses Kopfschütteln auf meiner Seite.
Einige Minuten – sie kommen mir vor wie Stunden – später tauchen die beiden Erziehungsberechtigten mit dem Familienhund aus dem Keller auf. Sie hätten die Station gefunden. Ob ich das Ergebnis haben wollen würde?
Verständnis?
Mit deutlichen Worten machte ich ihnen klar, dass ich, sagen wir einmal verwundert war, die beiden Kinder alleine in diesem unwirtlichen Gelände zwischen Brombeerranken und Betonbrocken an einem ungesicherten Kellerabstieg aufzufinden.
Das Verständnis für meine Verwunderung über die Situation der Kinder, sie waren tatsächlich 2 und 4 Jahre alt, hielt sich bei den Verantwortlichen leider in Grenzen. Nach cachen war mir nach dieser Begegnung an dieser Stelle erst einmal nicht mehr zu Mute.
In den letzten Wochen kam es mehrfach zu solchen oder ähnlichen Begegnungen. Selber Familienvater, würde ich niemals auf den Gedanken kommen, mit (m)einem Kleinkind diese Art von „Abenteuer“ auf einem Lost Place zu suchen, auf dem jeder falsche Tritt eine immense Gefahr bergen kann.