Morgens früh, kurz nach sieben. Ich sitze wie sooft in einer Regionalbahn, um aus dem Umland in eine deutsche Großstadt zu Pendeln. Gerade hatte ich gemütlich eingerichtet als die Bahn in die nächste Station einfährt. Die Türen öffnen und schließen sich wieder. Die neu zugestiegenen Mitreisenden sortieren sich. In „meiner“ Sitzgruppe setzt sich eine Dame neben mich.
Einen Augenblick später, zunächst blicke ich nicht einmal aus meiner Lektüre auf, nehme ich war, dass sich noch jemand dazu setzt. Einen Absatz später nutze ich die Gelegenheit, den neuen Mitfahrer in Augenschein zu nehmen. Das erste, was ich wahrnehme ist ein abgehetzt und sichtlich nervös wirkendes Gesicht. Eine weite hellblaue, grün abgesetzte Regenjacke spannt sich über einen sportlich wirkenden Körper. Als nächstes bemerke ich, dass die dunkelblaue Cargohose als Überfallhose über ein paar Kampfstiefeln getragen wird, wie es häufig beim Militär üblich ist. Eine große, klobige Ledertasche steht zwischen seinen Füßen.
Sicher sind uniformierte Mitreisende durchaus üblich, aber Regenjacke und Tasche passen nicht zu dem üblichen Klientel.
Nervös springt mein gegenüber nach einer knappen Minute, nachdem er sich hingesetzt hat, wieder auf und wuchtet seine Tasche in die Gepäckablage und nimmt wieder Platz. Nässelt sich sichtlich angespannt sich an Jacke und Hose.
Wieder einen Moment später steht er wieder nervös auf, schaut sich um. Er holt die Tasche wieder aus der Gepäckablage und stellt sie auf den Sitz. Blickt sich wieder um und öffnet die Tasche.
Mein Adrenalin schießt in die Höhe die nächsten Sekunden fühlen sich an wie Stunden. Obwohl ich die Dame neben mir nicht im Blickfeld habe, merke ich, wie sie sich in diesem Moment verkrampft.
Mein mir jetzt schräg gegenüber stehender, immer nervöser wirkende, Mitreisende greift seine die Tasche und zieht eine echte Pistole im Holster aus der Tasche, befestigt sich diese ruhig am Gürtel, schließt seine Tasche wieder, setzt sich auf den Sitz und stellt sich die Tasche zwischen seine Füße.
Mir schießen unzählige Szenarien durch den Kopf. Ich überlege, wie ich reagieren soll, bin aber erst einmal völlig überfordert mit der Situation. Langsam Blicke ich zu der Dame neben mir, die trotz Makeup völlig blass versucht unauffällig in Ihrem Sitz zu verschwinden.
Was tun? Den Gegenüber ansprechen? Wie wird er reagieren? Er scheint immer noch ziemlich nervös. Handy rausholen und Notruf per SMS absetzen? Das würde mein Gegenüber sicher mitbekommen. Bleibt die Frage wie der nun bewaffnete Gegenüber reagieren würde.
Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass aus der Sitzgruppe schräg gegenüber jemand aufsteht und sich einen Platz einige Meter weiter sucht. Hat er mitbekommen was unser Mitreisende gerade tut?
Einige Minuten später steht der Mitreisende auf und fingert an seiner Regenjacke herum. Er öffnet den Reißverschluss. Zunächst wird eine Taktische Weste sichtbar, auf der verschiedene größere und kleinere Taschen aufgesetzt sind. Bei der Dame neben mir setzt deutlich hörbar Schnappatmung ein.
Als der Mitreisende die Regenjacke auszieht und zusammenlegt sind Polizei-Patches zu sehen, in einer Tasche mit Mesh-Gewebe ist ein Dienstausweis zu erkennen.
Die Anspannung wandelt sich in Erleichterung.
Ich spreche den Polizisten mir gegenüber an, dass er bei mir und wohl auch bei der Dame neben mir für ein „wenig“ Verunsicherung gesorgt hat, da er mit der zivilen Regenjacke über seiner Uniform nicht als jemand zu erkennen war, der berechtigt eine Waffe führt und auch das Verhalten, die Waffe zunächst in der Tasche mitzuführen und sich dann in der Öffentlichkeit seine Ausrüstung anzulegen, so nicht zu erwarten gewesen wäre.
Zurück bleibt die Frage: Was wäre gewesen wenn…?